Weihnachtsamnestie – wenn Gnade vor Recht ergeht
So sicher wie Weihnachten kommt, kommt auch jedes Jahr die Weihnachtsamnestie für Strafgefangene. Rund 2.000 Häftlinge bundesweit werden vorzeitig aus der Haft entlassen – ohne einen Anspruch darauf zu haben. Einzige Begründung: ein Akt der Nächstenliebe.
Unumstritten ist die Weihnachtsamnestie nicht. In jedem Bundesland existiert eine andere Regelung zur Weihnachtsamnestie. Parallel dazu variiert auch die Zahl der Amnestierten in den einzelnen Bundesländern erheblich. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen betrifft es jährlich um die Tausend Gefangene, die Zahl der Amnestierten in den übrigen Bundesländern liegt deutlich darunter.
Amnestie als Relikt des Obrigkeitsstaates
Historisch ist die Amnestie ein Relikt des Obrigkeitsstaates, der sich über dem Gesetz wähnte. Im Recht ist die Amnestie und die damit verbundene vorzeitige Haftentlassung ein Gnadenerweis aufgrund ministerielle Ermächtigung. Die Landesjustizminister regeln die Voraussetzungen für eine vorzeitige Entlassung von Gefangenen. Die Amnestierungen selbst werden von den Staatsanwaltschaften als ermächtigte Vollstreckungsbehörden verfügt.
Amnestie an Voraussetzungen gebunden
Die Voraussetzungen für eine Amnestie sind in den Bundesländern unterschiedlich, in ihren Grundzügen aber doch ähnlich geregelt. Grundsätzlich wird eine Amnestie nur gewährt, wenn:
- der Strafgefangene sich gut geführt hat,
- er sich seit einer Mindestzeit (in der Regel über ein Jahr) in Haft befindet,
- das reguläre Strafende zwischen November des laufenden und Januar des folgenden Jahres liegt,
- er keiner schweren Gewalt- oder Sexualdelikte für schuldig befunden wurde,
- für Unterkunft und Unterhalt nach seiner Entlassung gesorgt ist.
Amnestie nur auf Antrag
Erfüllt der Strafgefangene diese Voraussetzungen, muss er die Weihnachtsamnestie für sich bei der zuständigen Stelle beantragen. Da die Weihnachtsamnestie keine Generalamnestie ist, wird der Einzelfall sorgfältig geprüft. Führt die Prüfung zu einem positiven Ergebnis, so kann er schon im November entlassen werden. Auf diese Weise soll ihm hinreichende Zeit gewährt werden, eventuell erforderliche Behördengänge noch vor den Weihnachtstagen zu erledigen.
Bayern und Sachsen sind gnadenlos
Juristisch ist die Gewährung der Weihnachtsamnestie hoch umstritten. Bayern und Sachsen scheren aus der Phalanx der übrigen Länder aus und machen nicht mit. Sie weisen darauf hin, dass
- die Dauer einer Freiheitsstrafe von unabhängigen Gerichten festgesetzt wird
- und der Zeitpunkt der Entlassung keine Frage der Jahreszeit sein kann.
- Sie qualifizieren die Weihnachtsamnestie als Willkürakt,
- die zu einer Ungleichbehandlung der Häftlinge führe, da die Gewährung allein von dem zufälligen Ergebnis abhängt, ob das Ende der Haftzeit in den Sommer oder in die Weihnachtszeit fällt.
Gnade ist ihrem Wesen nach irrational
Die Befürworter der Weihnachtsamnestie führen ins Feld, die Gegner hätten das Wesen der Weihnachtsamnestie als reinen Gnadenakt nicht verstanden.
- Gnade entziehe sich den juristischen Kategorien von Gerechtigkeit und Gleichbehandlung.
- Gnade sei immer die Abwesenheit von Recht,
- sie sei rechtlich immer unverdient,
- sie sei geschenkte Freiheit.
Der Rechtsphilosoph Gustav Radbruch bezeichnete die Gnade als das “gesetzlose Wunder innerhalb der juristischen Gesetzeswelt“.
Ein Papst hat in diesem Zusammenhang einmal darauf hingewiesen, nur in der Hölle herrsche nach menschlichen Maßstäben absolute Gerechtigkeit, im Himmel regiere die Gnade. Er bezog sich auf das biblische Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, in dem die später dazu gekommenen Arbeiter aus Barmherzigkeit am Ende den gleichen Lohn erhielten wie die von Beginn an Arbeitenden.
Auch praktische Gründe spielen eine Rolle
Die Justiz beruft sich auf den Grundsatz der gepflegten Mitmenschlichkeit, wobei böse Zungen unken, auch praktische Erwägungen spielten eine nicht unbedeutende Rolle. Die Amnestie hat nämlich auch einen bedeutenden Entlastungseffekt für überfüllte Haftanstalten (13.000 Inhaftierte sind es zurzeit allein in NRW). Teure Haftplätze werden durch die Amnestien für einige Tausend Tage gespart.
Nicht alle wollen den Gnadenerweis
Strafgefangene werden durch zur Amnestie nicht gezwungen. Immer wieder verzichten Strafgefangene, die die Voraussetzungen ohne weiteres erfüllen würden, auf einen Antrag auf Gewährung der Amnestie. Manche haben regelrecht Angst, die Weihnachtstage draußen in Freiheit verbringen zu müssen. Und die, die durch den Gnadenerweis die Weihnachtstage mit ihrer Familie verbringen können, sollten in einer toleranten Gesellschaft mit einer jüdisch-christlichen Kulturgeschichte nicht wirklich stören. Weihnachtsamnestie – eine Farbe die das Recht zur Weihnachtszeit etwas wärmer strahlen lässt.