Familienzusammenführung von Kindern, die erwachsen werden
Es ist eine Binsenweisheit, dass Babys zu kleinen Kindern, kleine Kinder zu jungen Erwachsenen werden... Da Anträge aus dem Heimatland in der Regel viel zu lange dauern, kann es leicht passieren, dass ein Jugendlicher 18 wird - mitten im Antragsverfahren. Muss dieses "Kind" nun einen eigenen Antrag als Erwachsener stellen, oder geht der Antrag als Familienzusammenführung für erwachsene Familienmitglieder weiter? Der Europäische Gerichtshof hat diese Frage in seinem Urteil vom 16. Juli 2020 beantwortet.
Anträge auf Nachzug von Minderjährigen immer wieder abgelehnt
Im Jahr 2012 hatte ein (in Belgien anerkannter) Flüchtling einen Antrag auf Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung für seine drei minderjährigen Kinder gestellt, die sich noch in ihrem Heimatland befanden. Diese Anträge wurden abgelehnt. Im Jahr 2013 stellte er erneut ähnliche Anträge bei der belgischen Botschaft in Dakar, Senegal. Die belgischen Behörden lehnten auch diese Anträge im Jahr 2014 ab.
Kinder erreichten die Volljährigkeit
Die Kinder, vertreten durch ihren Vater, beschlossen die Ablehnungen anzufechten. Das belgische Gericht erklärte die Klagen Ende Januar 2018 mangels eines berechtigten Rechtsschutzinteresses für unzulässig. Nach nationalem Recht ist der Rechtsschutz zulässig, wenn die Rechtsschutzinteresse zum Zeitpunkt der Klageerhebung gegeben ist und während des gesamten Verfahrens weiterhin andauert. Im vorliegenden Fall hatten die Kinder zwischenzeitlich am Tag der Verkündung der gerichtlichen Entscheidung die Volljährigkeit erreicht und erfüllten damit nicht mehr die Voraussetzungen der Bestimmungen zur Familienzusammenführung für Minderjährige. Die Parteien legten Berufung beim den EuGH.
EuGH: Zeitpunkt der Antragstellung entscheidend für Feststellung der Minderjährigkeit
Nach Auffassung des EuGH ist der Zeitpunkt der Antragstellung auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung gestellt wird, ausschlaggebend dafür, ob ein Kind bei dieser Antragsart minderjährig ist. Der Zeitpunkt, zu dem die zuständigen Behörden des Mitgliedstaates über den Antrag entscheiden, ist unerheblich. Dies gilt auch in dem berichteten Fall, in dem der gesamte Prozess mehrere Jahre dauerte.
Recht des Minderjährigen auf Familienzusammenführung wäre sonst gefährdet
Der EuGH stellt fest, dass es nicht mit den Zielen der Richtlinie 2003/86/EG oder mit den Anforderungen der Europäischen Charta Grundrechte vereinbar ist, das Alter des Antragstellers auf den Zeitpunkt festzulegen, an dem die zuständige Behörde über den Antrag entscheidet. Dies würde nicht dazu führen, dass die zuständigen nationalen Behörden und Gerichte den Vorrang für Begehren von Minderjährigen mit der notwendigen Dringlichkeit zu behandeln, um deren Schutzbedürfnis Schutzes gerecht zu werden. Sie könnten sogar die Rechte dieser Minderjährigen auf Familienzusammenführung gefährden.
Fortbestehendes Rechtsschutzinteresse nach Erreichen der Volljährigkeit wegen möglicher Schadensersatzklagen
Außerdem kann die Zurückweisung einer Beschwerde wegen Unzulässigkeit nicht auf die Feststellung gestützt werden, dass die betroffenen Personen kein Interesse an der Erlangung einer Entscheidung hätten. Ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag auf Familienzusammenführung abgelehnt wurde, könnte auch nach Erreichen der Volljährigkeit weiterhin ein Interesse an einer Entscheidung des Gerichtes in der Hauptsache haben. In einigen Mitgliedstaaten ist eine solche gerichtliche Entscheidung notwendig, damit der Antragsteller eine Schadensersatzklage gegen den betreffenden Mitgliedstaat erheben kann.
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