Ableitung des Freizügigkeitsrechts vom eigenen Kind
Wann hat der nichteuropäische Elternteil eines Kindes mit europäischer Staatsangehörigkeit Anspruch auf Freizügigkeit? Muss das Kind im Zielland leben, oder ist nur das Elternverhältnis für die Freizügigkeit von Bedeutung? Diese spannende Frage hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig in seinem Urteil vom 23. September 2020 (Az. 1 C 27.19) geklärt.
Kosovarischer Vater eines ungarischen Kindes machte abgeleitete Freizügigkeit geltend
Der Kläger, ein kosovarischer Staatsangehöriger, ist der Vater eines minderjährigen Kindes, das über seine Mutter, mit der der Kläger zusammenlebt, die ungarische Staatsangehörigkeit besitzt. Beide Eltern haben das Sorgerecht für das Kind und sind nicht verheiratet. Nach der Geburt des Kindes beantragte der Kläger erfolglos eine Aufenthaltskarte als Familienangehöriger eines unionsbürgerlichen Kindes unter Nachweis der Freizügigkeit nach §5 I FreizügG.
Der VGH verwies den Kläger auf die Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen
Das Gericht stellte fest, dass ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht zugunsten des drittstaatsangehörigen Familienangehörigen eines Unionsbürgers grundsätzlich nur dann besteht, wenn es erforderlich ist. Eine solche Notwendigkeit sei gegeben, wenn der Nichteuropäer keine nationale Aufenthaltserlaubnis beantragen könne. Im vorliegenden Fall bestand eine solche Möglichkeit - nach dem Verständnis des Gerichts. Es ging davon aus, dass der Vater eine Erlaubnis aus humanitären Gründen (§25 V AufenthG) hätte beantragen können. Obwohl der Kläger nie einen solchen Antrag gestellt hatte, bleibt dies richtig. Auch die Ausländerbehörde erklärte sich während des Verfahrens bereit, diese zu erteilen. In der Zwischenzeit hat der Kläger die Mutter des Kindes geheiratet, und es wurde ihm eine Aufenthaltskarte ausgestellt. Jetzt will er nur noch gerichtlich feststellen lassen, dass er ein von seinem Kind abgeleitetes Aufenthaltsrecht erhalten hat.
BVerwG kassiert Entscheidung des OVG
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Sache zur erneuten Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen. Es ist der Auffassung, dass Art. 21 AEUV das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit schützt. Er gewährt auch den Familienangehörigen eines freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgers ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht, auch in bestimmten Fällen, die nicht unmittelbar von der Richtlinie 2004/38/EG (Unionsbürgerschaftsrichtlinie) erfasst werden.
Abgeleitetes Recht auf Freizügigkeit, wenn der Zusammenführende ein eigenes Recht hat
Beruft sich ein Drittstaatsangehöriger auf ein aus der Freizügigkeit der Unionsbürger abgeleitetes Aufenthaltsrecht, um in einem zweiten EU-Mitgliedstaat ein normales Familienleben zu führen, muss der Zusammenführende selbst über ein eigenes Recht verfügen. Ein allein von der Mutter abgeleitetes Recht auf Freizügigkeit des Kindes reiche hierfür nicht aus. Ein eigenes Aufenthaltsrecht des Kindes bestehe nur, wenn ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stünden (Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Unionsbürgerschaftsrichtlinie).