Unterhalt für den Lebensunterhalt im Rahmen des Freizügigkeitsrechts
Wenn ein europäischer Bürger Unterhalt für seinen nicht-europäischen Verwandten zahlt, muss dieser dann die gesamten Lebenshaltungskosten übernehmen? Der Kläger begehrt die Erteilung einer Aufenthaltskarte als Familienangehöriger eines Unionsbürgers. Das Verwaltungsgericht Berlin hat mit seinem Urteil vom 13. Januar 2022 (Az. VG 15 K 246/20) Klarheit geschaffen.
Albanierin abhängig von Unterhaltzahlungen des Kindes
Die Klägerin ist albanische Staatsangehörige und Mutter von zwei erwachsenen Kindern, die beide die griechische Staatsangehörigkeit besitzen und seit mehreren Jahren in Deutschland leben. Die Ausländerbehörde in Berlin entschied am 17. Juni 2020, dass die Klägerin ihr Recht auf Freizügigkeit und ihren europäischen Status verloren habe. Sie wurde zur Ausreise aufgefordert. Sie erfülle nicht die Voraussetzungen eines Familienangehörigen eines Unionsbürgers im Sinne des Freizügigkeitsgesetzes. Es fehle die Voraussetzung der "Unterstützung" durch einen Unionsbürger. Ihr Sohn konnte die Klägerin nicht in einem existenzsichernden Umfang finanziell unterstützen.
Dies ergebe sich zum einen daraus, dass der Sohn insoweit kein ausreichendes Einkommen habe, zum anderen, dass die Klägerin Sozialleistungen beziehe. Nach Abwägung des Bleibeinteresses mit dem öffentlichen Interesse an der Beendigung des Aufenthalts beschloss die Ausländerbehörde, ihren Aufenthalt zu beenden.
Die Einwanderungsbehörde hat zutreffend erkannt, dass ihr Sohn als freiberuflicher Musiklehrer tätig ist und gleichzeitig in einem Arbeitsverhältnis stand, aus dem er ein monatliches Nettogehalt von knapp über 1000 € bezog. Die Klägerin wohnt unentgeltlich in seiner Wohnung und erhält von ihm Barunterhalt in Höhe von ca. 100 € monatlich. Darüber hinaus erhält sie eine albanische Rente in Höhe von etwa 140 Euro monatlich und Sozialhilfe aus Deutschland.
Europäer muss Unterhalt gewähren aber nicht Nicht-Europäer finanzieren
Mit der eingereichten Klage wendet sich die Klägerin gegen den Bescheid und begehrt eine Aufenthaltskarte. Sie ist der Ansicht, dass die von ihrem Sohn erhaltene Unterstützung ausreicht, um die Voraussetzungen zu erfüllen. Es sei nicht erforderlich, dass er sie vollständig unterstütze. Die Klägerin hat schon seit langem nicht mehr genug Geld aus eigenen Mitteln zum Leben.
Das Gericht stellt sich auf die Seite der Klägerin und verurteilt die Einwanderungsbehörde, ihr als freizügigkeitsberechtigtem Familienmitglied eine Aufenthaltskarte auszustellen. Es ist nicht erforderlich, dass die europäischen Verwandten für ihren gesamten Lebensunterhalt aufkommen. Es ist auch unerheblich, warum der Unionsbürger seinem Familienangehörigen Mittel zur Verfügung stellt; insbesondere ist es nicht erforderlich, dass diese Leistungen auf einem Unterhaltsanspruch beruhen, wie es in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs heißt.
Auch wenn der Antragsteller zum Zeitpunkt der Antragstellung bedürftig ist und Familienangehörige den Antragsteller unterstützen, ist der Grund für diesen Umstand unerheblich. Entscheidend ist jedoch, dass der Nicht-Europäer die Freizügigkeit ausüben will, auf die der Antragsteller vor seinem Umzug in einen anderen europäischen Mitgliedstaat angewiesen war. Voraussetzung für den Nachweis eines solchen tatsächlichen Abhängigkeitsverhältnisses ist, dass ein Unionsbürger seinem Verwandten über einen längeren Zeitraum regelmäßig einen Geldbetrag zahlt, den der Nicht-Europäer zur Deckung seines Grundbedarfs benötigt.