Leitkultur - Bayern zur Legalität erhoben
Das Bundesland Bayern, das im Süden jenseits des Weißwurstäquators liegt, hat ein eigenes Integrationsgesetz, das die Förderungen und Richtlinien für die dortigen Integrationskurse festlegt. §11 BayIntG schreibt z.B. vor, dass Migranten Grundkurse "über die Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung" besuchen müssen, wenn sie gegen die bayerische "Leitkultur" verstoßen. Innerhalb Deutschlands ist das Thema "Leitkultur" viel diskutiert worden. Die Landtagsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen reichten beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eine Grundsatzklage ein, die am 3. Dezember 2019 vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof entschieden wurde (zu: Vf. 6-VIII-17 u. Vf. 7-VIII-17).
Die Bayern, genauer gesagt die Regierung der Christlich-Sozialen Union, erhielten eine Ohrfeige. Das Gericht entschied, dass §11 BayIntG im Widerspruch zur bayerischen Staatsverfassung stehe. Danach verstößt das Erfordernis, dass ein Ausländer Grundkurse besuchen muss, wenn er sich im Widerspruch zur bayerischen Leitkultur "daneben benimmt", gegen die Meinungsfreiheit und damit gegen die bayerische Verfassung. Ebenso verfassungswidrig ist die Regelung, dass die Rundfunk- und Medienanstalten diese Leitkultur vermitteln sollen. Die Regelung verletze die Rundfunkfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung, entschied der BayVerfGH.
Als grober Überblick:
Bayern kann seine eigenen Regeln haben
Das Gericht stellte - entgegen der Meinung der Grünen - klar, dass Bayern durchaus Regelungen für die Integration von Ausländern treffen kann. Nach Ansicht des Gerichts kann die bayerische Verfassung Integrationsregeln für Ausländer festlegen, weil die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern das Ausländerrecht als gemeinsame Querschnittsaufgabe betrachtet.
Eine Pflicht zur Integration von Ausländern könne ihnen daher auch in einer bayerischen Landesverfassung auferlegt werden; die Regelungen könnten sogar konzeptionell vom Bundesgesetzgeber abweichen.
Allerdings sollen die Bestimmungen nicht den Charakter strafrechtlicher Sanktionen haben, wie dies in §14 Abs. 2 BayIntG der Fall ist. Diese Bestimmung legt fest, dass die "Untergrabung der verfassungsmäßigen Ordnung" mit bis zu 50.000 Euro geahndet wird. Dieser Ansatz ignoriert die (deutsche) Verfassungsordnung. Die Richter entschieden, dass das Strafgesetzbuch in dieser Hinsicht endgültig und die bayerische Norm damit nichtig ist.
Auf die Leitkultur hinarbeiten
Anders verhält es sich mit der von der CSU durchgesetzten Regelung, dass das Land Bildungsangebote fördert, die sich an der Leitkultur, der Kunst, orientieren. §3 IV 2 BayIntG. Die Opposition beklagte, die Regelung verletze die Neutralitätspflicht des Staates. Es gehe aber nicht darum, Ausländern mit dieser Massnahme eine weltanschaulich-religiöse Grundhaltung aufzuzwingen oder eine Verpflichtung zu einer solchen Grundhaltung zu installieren. Vielmehr ging es um gegenseitige Rücksichtnahme, Toleranz und Respekt füreinander.
Auf der Grundlage des Vorstehenden hielt das Gericht daher auch die konzeptionellen Vorgaben für Kindergärten für verfassungskonform. Die CSU hat in §6 BayIntG festgelegt, dass Kinder in Kindertagesstätten zentrale Elemente der christlich-westlichen Kultur erfahren sollen. Kinderbetreuerinnen und Erzieherinnen sind aufgerufen, auf dieses Ziel hinzuwirken. Die Richter am BayVerfGH sehen darin zwar einen Verstoß gegen das elterliche Erziehungsrecht, der Eingriff ist aber durch den staatlichen Erziehungsauftrag gerechtfertigt.
Das Gericht stellte weiter fest, dass die Verpflichtung zur Integration auch erfordern kann, dass die Migranten selbst für die Kosten eines Dolmetschers im Verwaltungsverfahren aufkommen, wie es das BayIntG vorsieht. Obwohl die Regelung einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit darstellt, ist sie nach Ansicht der Richter gerechtfertigt. Die Vorschrift verfolgt den legitimen Zweck, die deutsche Sprache und Kultur zu erlernen. Da es sich um eine Ermessensregelung handele, biete sie genügend Spielraum für eine rechtskonforme Auslegung.
Verfassungskonform ist auch die durch das BayIntG geschaffene Ermächtigung der Polizei zum Betreten von Asylbewerberunterkünften. Von dieser Ermächtigung darf die Polizei nur im Einzelfall zur Abwehr dringender Gefahren Gebrauch machen, was auch diesen Eingriff in die Rechte der Betroffenen rechtfertigt.
Knallende Ohrfeige und entspannter Empfang
Vertreter von SPD und Gruenen zeigten sich zufrieden mit der Entscheidung. SPD-Fraktionschef Horst Arnold sprach von einer "schallenden Ohrfeige" fuer die Landesregierung. Der parlamentarische Geschäftsführer der CSU, Tobias Reiß, argumentierte dagegen, das Gesetz sei "im Kern" vom Gericht bestätigt worden. "Die Landesregierung nimmt das Urteil sehr gelassen auf", sagte Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU). Jedenfalls sei das Gesetz nach dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs in seinen "wesentlichen Teilen" mit der bayerischen Verfassung vereinbar, insbesondere mit dem Kerngedanken, die Integration in Bayern zu fördern und zu fordern. Die Debatte sei "eigentlich abgeschlossen", sagte er.